Wenn einer eine Reise…

Eine Zugfahrt von Neustrelitz nach Hause.

Mitte Mai 1987 musste ich mit ein paar anderen Handwerkern in Neu Canow die Bungalows für die kommende Ferien-Saison herrichten. Da der Betriebs-Wartburg im Betrieb dringend gebraucht wurde, musste Ralf der Maurer, der bereits vor Ort war, mit dem Wartburg schon am Donnerstag Morgen zurück fahren. Jetzt hatten wir nur noch den privaten „Skoda“ von Onkel Hans.

Da standen wir aber vor dem Problem, wie wir 6 kräftige Personen mit Gepäck und Werkzeug wieder zurück nach Hohenthurm bekommen. Am Abend besprachen wir bei einem Bierchen die Lage. Maurermeister Kurt, Werner der Maler und ich beschlossen mit dem Zug nach Hause zu fahren.

Onkel Hans bekam den Auftrag uns am nächsten Morgen nach Neustrelitz zum Bahnhof zu bringen. Natürlich hatten wir keinen Fahrplan und mußten somit recht früh auf dem Bahnhof sein. Onkel Hans fuhr dann mit den 2 Putzfrauen, Gepäck und Werkzeug mit dem „Skoda“ nach Hohenthurm.

Wir kauften gleich die Fahrkarten mit D-Zug Zuschlag. Ein Blick auf den Fahrplan zeigte uns, wann der Zug hier abfuhr und daß wir in Berlin nur 10 Minuten zum Umsteigen hatten. Das könnte knapp werden, dachte ich und dann fuhr auch schon unser Zug ein.
Allerdings hatten wir noch gut eine Stunde, eher der Zug abfuhr.

„Zum Glück ist ne Mitropa dran“, sagte Kurt freudig. „Die haben bestimmt gutes Bier.“

In der Stunde bis zur Abfahrt wurde von dem Zug die Diesellok abgekoppelt, eine E-Lok und noch ein paar Wagons angehängt. In Neustrehlitz endete nämlich das elektrische Netz der „Deutschen Reichsbahn“.

Wir gingen in die „Mitropa“ im Bahnhof um eine Bockwurst zu essen. Es roch leicht nach Schmiere und Öl, nach Zigarettenrauch und Bockwurstwasser. Unseren Bierdurst wollten wir uns für die Fahrt im Zug aufheben, wegen dem guten Bier. Nachdem der Zug bereit gestellt wurde stiegen wir gleich ein, um noch Sitzplätze zu bekommen. Kaum waren wir losgefahren ging ich in Richtung „Mitropawagen“. Ich durchquerte den ganzen Zug, doch „Er“ war weg. Was nun? Ich konnte es nicht glauben. Beim umkoppeln der Lok und Wagons, war auch der Mitropawagen abgehängt worden. Das hatten wir beim Bockwurst essen garnicht bemerkt?! Und ich konnte das Bier doch schon schmecken….

Der Durst wurde gleich noch größer, in dem Wissen, hier im Zug nichts zu kriegen. Als ich in unser Abteil zurück kam, sah ich Gesichter des Entsetzens. Wie? Kein Bier? Nüscht zu trinken? Bis Berlin würden wir verdurstet sein! Der Mund war trocken und der Durst entwickelte sich zu einem richtigen Brand.

Einziger Trost waren die 10 Minuten Aufenthalt und der Kiosk am Bahnsteig in Berlin. Dort würden wir etwas zu trinken bekommen.

Das Schicksal nahm seinen Lauf und der Zug hatte natürlich Verspätung. Wir hielten ein paar mal auf der Strecke und keiner wußte warum. Uns blieb nun nur noch eine Minute zum umsteigen. Zum Glück stand der andere Zug am selben Bahnsteig gegenüber. Wir stellten, nach einem kontrollierenden Blick von vorn nach hinten fest, daß der auch keine „Mitropa“ hatte.

Werner und Kurt rannten in den Zug um Plätze zu besetzen und ich rannte zum Kiosk. „Bier“, rief ich schon während ich auf den Kiosk zurannte.

„Ham wa nich“, kreischte es herraus. „Dann Brause“, rief ich wieder. „Ham wa och nich“, kreischte es zurück.

„I R G E N D W A S zum trinken, wir haben Brand“, rief ich wieder. Die Kioskfrau griff hinter sich und stellte mir 2 Flaschen Aperitif hin. Ich schmiß ihr 10 Mark auf den Teller und rannte mit meiner Beute zum Zug. Der Schaffner gab gerade das Abfahrtsignal.

Kaum hatte ich die Wagontür zu, fuhr der Zug auch schon los. Kurt und Werner flehten mit hängender Zunge nach etwas Flüssigem und rümpften die Nase, als sie mich mit meiner Beute sahen. Was ist das? Fragten beide fast synchron….

„In der Not frißt der Teufel Fliegen“, sagte ich und wir tranken den Aperitif. Das Zeug war so süß, daß unser Durst nur noch schlimmer wurde. Werner war so verzweifelt und wollte auf der Zugtoilette das Wasser aus dem Wasserhahn trinken. „Ich geh kaputt!“ faselte er. „Ich halt’s nicht mehr aus…“ Kurt hob den Zeigerfinger zur Stirn und meinte: „Du bist wohl verrückt! Wer weiß was da drin ist und wo die Plörre her ist…Kriegst noch die Scheißerei davon!“ „Laß das bloß sein!“

Nach 3 Stunden, mit zugeklebtem Mund und dem Verdursten nah, kamen wir in Halle an. Hier war der Aufenthalt von Kurt und Werner auf 15 Minuten geschrumpft. Ich rannte gleich in die „Selbstbedienungs – Mitropa“ rein und schnappte mir ein ganzes Tablett mit Brausegläsern. Kurt und Werner kamen hinter mir her gehächelt und warteten schon hinter der Kasse.

Innerhalb von 2 Minuten tranken wir jeder 4 Gläser Brause. Dann mußten Kurt und Werner los zu ihrem Zug. Meiner fuhr 5 Minuten später. So hatte ich noch Zeit mir einen „Eulenspiegel“ zu kaufen.

Zur Amazon Buchbestellung „So schön war meine DDR“

titelbild-andy-fb